Es sind die Menschen selbst, die ihre

 Dämonen beschwören

Zitat der Gräfin in „Drăculea“

©Tomas Unruh

 

Ein Gespräch mit Thomas Unruh, Komposition, Sounddesign und musikalische Leitung

 

 

Thomas Unruh, Komponist, Musiker, Regisseur und Autor, ist ein deutschlandweit renommierter, vielbeschäftigter Künstler. Die Komposition und musikalische Leitung von „Drăculea“ ist neben „Liliom“ und „Der Prozess“ seine dritte musikalische Arbeit für das „Freie Theater Murnau“. Wir haben Thomas Unruh in Murnau getroffen, wo er seit langem mit seiner Familie lebt. Das Gespräch führte die Kulturwissenschaftlerin und Publizistin Dr. Elisabeth Tworek.

 

Elisabeth Tworek

Das Sounddesign ist bei dieser Theaterproduktion ein zentrales, dem Bühnengeschehen gleichgestelltes, künstlerisches Element, um den ultimativen Nervenkitzel zu erzeudgen. Mit welchen musikalischen Mitteln haben Sie das Sounddesign geschaffen?

 

Thomas Unruh

Ein grundlegender Ansatz war es, eine horrorspezifische Musik zu entwickeln, die aus dem „Imitieren“ von natürlichen Geräuschen und Klanglandschaften entsteht. So habe ich versucht, mit herkömmlichen Instrumenten und mit Softwareinstrumenten, klangtechnisch natürliche Umgebungen nachzubauen. Beispielsweise habe ich mit Schlagzeugbesen über die Saiten eines Klaviers gestrichen, um eine Brandung zu imitieren. Auch habe ich die Saiten mit Glasstangen angespielt, um das Aneinanderschlagen der Masten in einem Hafen akustisch zu produzieren. Ich habe mit Stöcken und Bögen über verschiedene Bleche gestrichen, um so „kreischende“ Töne wie Schreie zu erzeugen. Diese habe ich dann aufgenommen, gestimmt und in Softwareinstrumente implementiert, um sie tonal spielbar zu machen. Im Verlauf der Musik habe ich des öfteren eine „vertraute“ Harmonik etabliert, diese aber durch die beschriebenen Elemente eingefärbt und auf andere, disharmonischere Wege geschickt.

 

Elisabeth Tworek

Leitmotiv in „Drăculea“ ist das Rauschen des Blutes.  Wie kam diese Idee zustande und wie haben Sie das umgesetzt? 

 

Thomas Unruh

Der „Ursound“ des Theaterstückes, der dann auch alle weiteren Klangexperimente beeinflusst hat, ist das „Rauschen, der Klang des Blutes“. Ich habe dieses Sounddesignkonzept in engem Austausch mit dem Autor und Regisseur Max Pfnür entwickelt und minutiös für die jeweiligen Szenen ausgearbeitet. Max Pfnür hat mir zunächst die Mischung dieses Klangs lautmalerisch vorgemacht. Ich habe dann tiefer gestimmte „Wasserverläufe“ und eine „Herzton Trommel“ angelegt.

Dieses organische Klangbild taucht immer wieder auf und ist eines der musikalischen Leitmotive im Theaterstück. Wir konnten es im Sinne eines spielbaren Instrumentes jederzeit in Tempo, Tonhöhe und Dynamik verändern. Dabei war uns der durchwegs organische Klang der Instrumentierungen sehr wichtig. Die Bühnenmusik basiert bei uns auf natürlichen Instrumenten mit einem erdigen, akustischen Klangcharakter. Wir haben aber auch zeitgemäße, elektronische Elemente in den Soundtrack eingearbeitet, die immer mal wieder in den Klanggebilden aufflackern. Wir wollten aber keinen „sterilen Hollywoodsoundtrack“ produzieren, sondern die Musik etwas „dreckiger“ gestalten und eine eigene Soundästhetik entwickeln.

 

 

Elisabeth Tworek

Von welchen Komponisten und Musikstücken haben Sie sich inspirieren lassen?

 

Thomas Unruh

Ich bin von sehr vielen Komponisten und „Horrorscores“ der Filmgeschichte inspiriert. Für mich war bei „Drăculea“ aber ausschlaggebend, einen eigenen Ansatz zu finden. Deshalb habe ich einige Klänge aufgenommen und sie durch Effekte und besondere Artikulationen verändert, um eine spezifische Klangsprache für das Stück zu entwickeln. Da ich durch meine Arbeit als Theatermusiker und Komponist immer wieder mit den unterschiedlichsten musikalischen Vorstellungen in Berührung komme und eigentlich jedes Genre kennengelernt habe, versuche ich immer wieder, neue Wege zu finden und neue Klanglandschaften zu konzipieren.

 

Elisabeth Tworek

In „Draculea“ trifft die übersinnliche Welt mit der sinnlichen Welt zusammen. Dämonische Kräfte greifen in das Menschenleben ein. Wie erzeugen Sie mittels Musik Angst und Schrecken?

 

Thomas Unruh

Gerade bei „Draculea“ sind eine Vielzahl an dunklen und dämonischen Effekten gefragt. Diese in meinem „Musiklabor“ herzustellen, war für mich eine große Freude. Ich habe im Austausch mit Max Pfnür viele neue Sounds entwickelt, die ich nun meinem musikalischen Portfolio hinzufügen kann: seien es die Wasseraufnahmen, die gestrichenen Bleche, die Trommeln, die unkonventionellen Klavieraufnahmen, die dann teilweise noch durch Effektketten gejagt wurden, um zu einem neuen Sound zu werden, oder sei es die von Max Pfnür für einige Szenen erfundene, eingefärbte Sprache, die in Sprechchören kulminiert. Es gab viel neues Klangterrain zu entdecken, was diese Bühnenmusik so ganz besonders macht. Musik, die verzerrte, dissonante oder abrupte Elemente enthält, kann Angst oder auch negative, dunkle Emotionen hervorrufen, z.B. durch ihre Ähnlichkeit zu Lauten von Tieren in Not. Auch sind es dissonante Klänge, die uns in Alarmbereitschaft setzen, da wir durch prähistorische Prägung an menschliche Schreie erinnert werden. Das alles reflektierend, habe ich die Theatermusik in einem langen Prozess am Computer entwickelt. Sie ist geräuschlastig und von starken Kontrasten geprägt. Tiefe Töne, wummernde Bässe wechseln sich z.B. mit “kreischenden”, durchdringenden Tönen ab. Stille und Lautstärke wechseln sich abrupt ab. Auf diese Weise ist eine große Dynamik in der Musik. In diesem Kontext habe ich auch mit einem leicht verstimmten Spinett und einem präparierten Klavier, konterkarierenden Subbasselementen und dissonant ausklingenden Hallfahnen gearbeitet. Die Gesamtkomposition bewegt sich also zwischen Dissonanz und Konsonanz. Selbstverständlich gibt es auch Melodien, die einen harmonischen Charakter haben, beispielsweise bei den Tanzsequenzen und in Szenenübergängen. Das ist für die Reibung wichtig.

 

Elisabeth Tworek

Die Musik wird technisch zugespielt und ist minutiös dem Text angepasst. Was sind die besonderen Herausforderungen bei dieser Freilicht-Produktion?

 

Thomas Unruh

Die Musik kommt vom Band, aber es wird zusätzliche perkussive live Elemente wie Rasseln, Klanghölzer, Sprechchöre und Gesänge geben. Das ist alles in die Gesamtkomposition eingebettet. Mit der eingespielten Musik können wir sehr leise „Underscorings“, also ein leises Untermalen und Unterstreichen, etablieren. In Verbindung mit dem gesprochenen Wort kann das eine Wirkung entfalten, die das einzelne Medium so nicht generieren kann. So können wir auch das nicht Ausgesprochene, den Subtext, erfahrbar machen. Eine entscheidende Rolle wird die Einrichtung des Tons auf der Bühne sein. Wir werden viel mit Subbasstönen arbeiten und mit einem besonderen räumlichen Klangbild die Klanglandschaft für die Zuschauerinnen und Zuschauer erfahrbar machen. Wir sind schon sehr gespannt darauf, ob alles so funktioniert, wie wir es uns vorstellen.

 

Kurzvita 

Thomas Unruh wurde in Düsseldorf geboren und ist in Oberammergau aufgewachsen. Er studierte Jazz Bass an der New Jazz School in München. Seit 1999 ist er als freier Schauspieler, Musiker, Komponist, Regisseur und Autor von Kindertheaterstücken, Jugendtheaterprojekten, Hörspielproduktionen und szenisch-musikalischen Theaterformaten tätig. Von 2001 bis 2016 war er bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall als Komponist, Musiker, Regisseur und Schauspieler fest engagiert. Er wurde mit vielen Kompositionen, musikalischen Leitungen und Arrangements beauftragt, u.a. am Stadttheater Pforzheim, beim Kultursommer Garmisch-Partenkirchen, am Alten Schauspielhaus Stuttgart, am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf, am Teamtheater München und am Theater Lindenhof. Auch schuf er Kompositionen, Arrangements und musikalische Begleitungen für Lesungen, z.B. bei den Horváth-Tagen Murnau sowie Musik für Ehrenpreisvergaben.