„Jeder Mensch trägt den Tänzer in sich“ 

Ein Gespräch mit Elodie von Poschinger, Choreografie

 

 

Elodie von Poschinger verantwortet in „Drăculea“ die Choreografie der Tänze. Seit 2013 leitet sie das von ihr gegründete Studio ELODIE Tanzbewegung mit den Schwerpunkten Pole Dance, Aerial Yoga und weiteren Tanz- und Bewegungskonzepten. Es gelang dem Freien Theater Murnau, sie und weitere Tanzenthusiasten zum ersten Mal für das Freilicht-Theater zu gewinnen. Wir haben Elodie von Poschinger in Murnau getroffen, wo sie aufgewachsen ist und hier seit vielen Jahren wieder lebt.                                                         

 

Das Gespräch führte die Kulturwissenschaftlerin und Publizistin Dr.  Elisabeth Tworek.

 

Elisabeth Tworek

Der Tanz ist in „Drăculea“ ein dem Bühnengeschehen gleichgestelltes, künstlerisches Element. Was macht den Ausdruckstanz auf der Bühne so einzigartig?

 

Elodie von Poschinger 

Tanz vermag mehr als Worte und Musik. Tanz ist eine Körpersprache, die sehr reduziert sein kann. Gleichzeitig hat jede Bewegung eine Bedeutung, die vom Gegenüber intuitiv verstanden wird. Das kann ein verführerischer Blick, ein Augenaufschlag oder eine Geste mit der Hand sein. Im Tanz kann man necken, reizen, locken und andere in Staunen versetzen. Tanz zielt auf das Visuelle. Durch tänzerische Bewegung  werden unterschiedliche Gefühlsebenen erreicht; es entsteht ein anderer Blick auf die Welt. Überhaupt ist der Tanz eine gute Möglichkeit, Stimmungen und Gefühle zu transportieren. Das erfordert eine andere Aufmerksamkeit. Es geht mehr um Expression, als um Reflexion. Es bedarf allerdings des regelmäßigen Trainings und der Übung, um sich mit dem eigenen Körper künstlerisch und facettenreich ausdrücken zu können.

 

Elisabeth Tworek

In „Draculea“ geht es um Verführung, Manipulation und Veränderung.  Wie wird das mit Mitteln des Tanzes dargestellt?

 

Elodie von Poschinger

Beim Tanz versucht man, mit Leichtigkeit fliegend die Schwerkraft auszuhebeln. Tanz hat Tempo und suggeriert Mühelosigkeit. Bewegung kann Erstarrtes lösen. Um 1900 forderte die Reformbewegung in Schwabing „Weg mit dem Korsett“ und machte sich im Tanzen frei von festen Regeln. Das hatte gesellschaftlich Wirkung. In unserer Theaterproduktion geht es ebenfalls um das Ausbrechen aus der eigenen Welt, um Verführung und Entführung in eine andere Welt. Unsere Choreografie soll diese Grenzüberschreitungen fühlbar und sichtbar machen; wir stellen mit künstlerischen Mitteln dar, dass es hinter der Grenze der realen Welt möglicherweise etwas anderes gibt.

 

Elisabeth Tworek

In „Draculea“ trifft die übersinnliche Welt mit der sinnlichen Welt zusammen. Dämonische Kräfte greifen in das Menschenleben ein. Wie stellen Sie das in Ihrer Choreografie dar?

 

Elodie von Poschinger

Gemeinsam mit dem Text, der Musik, und den Akteuren ist der Tanz in „Draculea“ fester Bestandteil des kreativen Bühnengeschehens. Genauso wie Bühnenbild, Licht, Kostüme und Maske. In diesem Setting treten mehrere Vampirinnen auf. Sie sind in der übersinnlichen und in der sinnlichen Welt gleichermaßen zu Hause. Sie sind Wesen aus einer anderen Welt, die aber viel Spaß und Freude am Tanz und an der Musik haben. Die spannende Frage ist, wie sie sich im Laufe des Tanzes verwandeln; ob es ihnen gelingt, ihre bisherigen Rollen abzustreifen und in neue Rollen zu schlüpfen, und welche neuen Möglichkeiten ihnen andere Sphären eröffnen. Die von Thomas Unruh komponierte Musik gibt dazu den Rahmen vor, in dem wir uns völlig frei entfalten können. Das ist für uns sehr hilfreich.

 

Elisabeth Tworek

Wie muss man sich das Setting auf der Bühne vorstellen?

 

Elodie von Poschinger

Die Bühnenkonstruktion sieht einen Holzboden vor. Im Haupttanzbereich tanzen wir auf einem glatten Boden, Unser Arbeitsgerät ist unser Körper. Mit ihm arbeiten wir. Pole-Stangen, die in den Holzboden eingelassen sind, unterstützen uns dabei. Sie lassen zu, 

© Elodie von Poschinger

 

dass wir den Boden verlassen und uns für einen Moment schwerelos in andere Sphären begeben: quasi der Schwerkraft enthoben, und doch durch die Pole-Stangen geerdet.

 

Elisabeth Tworek

Ist der künstlerische Ausdruckstanz Teil des Angebotes in ihrem Studio ELODIE Tanzbewegung oder haben Sie anderweitig Erfahrungen mit Tanzprojekten gemacht? 

 

Elodie von Poschinger

In meinem Studio bieten wir derzeit mehrere kreativ-ästhetische Aktionen und Workshops an. Aber auch Tanzprojekte mit Kindern und Jugendlichen sind immer etwas Besonderes. 2007 absolvierte ich die einjährige, berufsbegleitende Ausbildung zur Projektleitung „TANZKUNST in die Schule“, ein künstlerisch-kreatives Vorhaben für Kinder und Jugendliche in Zusammenarbeit mit der TU München. Nach verschiedenen Schultanzprojekten in München leitete ich in Ettal einen mehrwöchigen Workshop zum Thema „Urlaub vom Krieg“ mit Schülerinnen und Schülern aus Mariupol in der Ukraine. Sie hielten sich 2015 für zwei Monate dort als Gäste des Benediktinergymnasiums während Russlands Annexion der Krim auf und konnten neue Kraft schöpfen. Es war aufregend zu beobachten, dass das Miteinander über Tanz und Körper auch ohne Sprache funktioniert. Auch durfte ich Teil des Choreografie-Teams sein, das im Rahmen des Richard Strauss-Festivals 2018 in Garmisch-Partenkirchen mit Schülerinnen und Schülern einer Grund- und Mittelschule ein Tanzprojekt zu „Romeo und Julia“ erarbeitete. Kin-der, die mit Tanzen eigentlich nichtsam Hut haben, begannen, mit ihrem Körper zu experimentieren und eigene Bewegungen einzubringen. Das machte viel Freude zu sehen.

 

Elisabeth Tworek

Wie ist die Zusammenarbeit mit Ihrer Tanzgruppe für „Drăculea“?

 

Elodie von Poschinger 

Es ist ein Miteinander. Wir überlegen, was wir besonders gut können.  Was liegt uns? Was passt zu uns? Unterschiedliche Charaktere unterschiedlichen Alters und Geschlechts schlüpfen in diese Rollen. Das ist eine spannende Mischung. Vielleicht gelingt es, unser Publikum in andere Sphären zu entführen und mit ausdrucksstarken Effekten zum Staunen zu bringen. Das würde uns sehr freuen. Lassen wir uns alle überraschen.


Darstellung einer Lamia, London 1658. Eine Lamia ist ein Ungeheuer, das die Gestalt einer Frau annehmen kann und angeblich Menschen verschlingt

oder ihnen das Blut aussaugt; eine Vampirin; eine Zauberin; eine Hexe. Wikipedia