„Lasset die Zauberer nicht am Leben!       

Mit Feuer und Schwert muss diese entsetzliche Pest

ausgerottet werden.“

Gespräch mit der Dramatikerin und 

Regisseurin Chiara Nassauer 

 

 Wie nähert man sich einem Thema, das bis zu 500 Jahre zurückliegt, ohne Vorurteile und ohne grobe

Vereinfachungen? Die Theaterfrau Chiara Nassauer hat den Text zum Drama ­„Teufelstanz“ geschrieben und führt ­Regie.  Das  Gespräch  führte die Publizistin und

Literaturwissenschaftlerin Dr. Elisabeth Tworek.

Wie kamen Sie auf diesen Stoff?

Welche Bedeutung hat er für Sie?

 

Chiara Nassauer

Seit meiner Kindheit fasziniert mich dieses Thema.

Schon damals fand ich im Kinderbuch „So lebten sie zur Zeit der Ritter und Burgen“ Hinweise zu Aberglauben

und Hexen im Mittelalter. Später las ich dazu Jugendbücher und Sachbücher. Am meisten faszinierte mich der Widerspruch, dass nach heutigen Vorstellungen diese Frauen unschuldig hingerichtet wurden, gleichzeitig aber nach damaligen Vorstellungen übernatürliche Kräfte besaßen. Wie passt das zusammen? Das machte mich neugierig. Auch die Ruine Werdenfels bei Garmisch ­interessierte mich von Klein auf; ­dieser Originalschauplatz wäre natürlich der ideale Aufführungsort für „Teufelstanz“ ­gewesen.  Doch das ist aus  versicherungstechnischen Gründen schon wegen der Unfallgefahr in diesem unwegsamen Gelände einfach zu ­schwierig.

 

Elisabeth Tworek 

Hat sich Ihre Sicht auf die Hexenthematik durch Ihre intensive Beschäftigung mit dem Stoff für das Theaterstück verändert? 

 

Chiara Nassauer

Beim  Erfinden  der  ­Charaktere entwickelte ich immer

mehr Verständnis für die damaligen Umstände, ohne

das Geschehene entschuldigen zu wollen. Ich habe immer mehr verstanden, warum bestimmte Personen

als Opfer ausgewählt wurden und was die anderen dazu bewegte, einen Sündenbock zu suchen. Führten die Konflikte der damaligen Menschen zum Widerstand

oder zur bebedingungslosen Unterwerfung? Ich wollte anhand einiger Charaktere die Zerrissenheit dieser Zeit erzählen.

 

Elisabeth Tworek

Wie kann man diesen Stoff 500 Jahre später für heutige Menschen verständlich in Szene setzen? Wie stellen Sie

in „Teufelstanz“ den historischen Bezug zum

Spätmittelalter her? 

 

Chiara Nassauer

Auch heute geht es Menschen wieder wirtschaftlich zunehmend schlechter. Die Frage, wer daran Schuld hat, wird heute oftmals sehr schnell beantwortet. Man sucht sich wieder einen Sündenbock, anstatt komplexe

Zusammenhänge herzustellen. Die Hexenprozesse von  Werdenfels  dauerten  ­insgesamt drei Jahre und hatten sehr viele ­Beteiligte. Um dem Publikum

Identifikationsmöglichkeiten zu geben, habe ich einige Protagonisten geschaffen, denen wir durch die ­damalige Zeit folgen können. Im Stück sind das Georg und Anna. Die Zeitreise erleichtern theatralische Elemente, wie die

Puppenspielerin. Sie stellt den ­historischen Bezug zu Bretter- und Jahrmarktsbühnen her mit 

Schattenspiel- und Schattenrisspuppen. Auch knüpfen unsere Kostüme an die damalige Zeit an. Die Sprache ist im Duktus und in der Wortwahl an damals angelehnt. Die Musik ist sehr atmosphärisch und kommt aus der Retorte.

Das verstärkt die Stimmung. Die sehr extremen 

gesellschaftlichen Hierarchien bilden sich im

Bühnenbild ab. Es besteht fast ­ausschließlich aus Holz. So stellen wir einen direkten Bezug zum Wald her. Holz passt auch hervorragend ins Werdenfelser Land.

 

Elisabeth Tworek 

Wie werden Sie den Frauen von damals gerecht?

 

Chiara Nassauer

Ich lasse die Frauen ihre eigene ­Geschichte erzählen.

In meinem Text mache ich sehr deutlich, welche Stellung die Frauen in der damaligen Gesellschaft haben. Rein aufgrund ihres Geschlechtes müssen sie sich den Männern unterordnen. Trotz dieser widrigen

Zeitumstände bringe ich sehr starke Frauen auf die Bühne, die sich durchaus zu behaupten wissen.

 

Elisabeth Tworek 

Sie bringen magische Wesen auf die Bühne? Warum tragen diese „Nachtschatten“ zum Teil Tiermasken?

 

Chiara Nassauer

Ich habe mich gegen Perchten-Masken entschieden,

weil sie viel zu teuer sind und nicht in unseren Kontext passen. Die Masken des Werdenfelser Landes wiederum sind viel zu menschlich. ­Deshalb wählte ich Tiermasken und sehr verfremdete ­Mensch-Tier-Masken. Sie sind ein Bild dafür, wie sehr unheimliche und unbegreifliche Naturkräfte das Leben der damaligen Menschen

beherrschten. Damals hatte man bei Unbegreiflichem sehr schnell Dämonen und Teuflisches im Verdacht. Übrigens wurden Tiere bei den ­Hexenprozessen mit angeklagt und mit den Menschen zusammen getötet. DieNachtschatten“ kommen  bei mir mit dem Tiergefolge. Ich habe mich dabei vom Bild der „wilden Jagd“ inspirieren lassen. Frau Alraune verkörpert das, was den damaligen Frauen verboten war: ­Selbstbestimmung, freie Sexualität, Ausbruch aus strengsten Konventionen. Daman heißt einer der Buhlteufel. Für mich ist er das Bild für unter- drückte Sehnsüchte und Wünsche, die damals nicht raus durften.

 

Elisabeth Tworek

Wie haben Sie sich in die  Wissensformen und Mentalitäten der spätmittelalterlichen Gesellschaft in der damaligen Grafschaft Werdenfels eingearbeitet?

 

Chiara Nassauer

Ich habe sehr viel einschlägige Sekundärliteratur zum Thema gelesen. Auch habe ich mich in Originalschriften und historische Dokumente vertieft. Zwischen der damaligen Hexenverfolgung und heute liegen 500 Jahre deutsche Ideen- und Sozialgeschichte. Aber für mich ist das Erschreckende, was davon auch heute noch aktuell ist. Beispielsweise der anonyme Hass auf Frauen im Internet, das Stigmatisieren von Randgruppen als Sündenböcke und die enge Verknüpfung von Glauben und Staat, wie wir das derzeit in den USA beobachten können. Das Publikum wird vieles wiedererkennen.



Weiberleit und Lausdirndln mit Klaus Tworek, Natalie Siegl und Sabine Remmele, Dezember 2024

Die Regisseurin Chiara Nassauer

In Uffing am Staffelsee aufgewachsen, studierte sie ab 2006 Schauspiel an der Athanor Akademie für  Dar- stellende Kunst Burghausen. Ihr Studium schloss sie

2010 ab und gründete kurz darauf die Theatergruppe „Red Door Projects“. Als freie Regieassistentin war sie unter anderem für die Theatergastspiele Kempf, den Kultursommer Garmisch-Partenkirchen und das Theater der Stadt Aalen tätig.

Ab Herbst 2013 arbeitete Chiara Nassauer am Theater Paderborn als Regieassistentin. Neben ihrer Arbeit mit dem Theaterclub U17 inszenierte sie  für den regulären Spielbetrieb, auch nachdem sie in der Spielzeit 2016 zur Spielleiterin befördert wurde und in die Dramaturgie wechselte. Zudem absolvierte sie erfolgreich ein Studium im Bereich Kulturmanagement.

Seit  Juli  2017  arbeitet  sie  ­wieder  als freischaffende  Regisseurin,  Schauspielerin und Theaterpädagogin in

 

 der Staffelseeregion. Gemeinsam mit dem Freien 

Theater Murnau hat sie unter anderem die Stücke

„Der Sandmann“, „Leonce und Lena“,  „Der ­Prozess“,

und „Die Nashörner“ auf die Bühne ­gebracht. Für „Mathias Kneissl“ im letzten Frühjahr führte sie nicht nur Regie, sondern schrieb auch den Text. Für unsere Veranstaltungsreihe "Lesungen zur Jahreswende" brachte sie die szenischen Lesungen mit Musik „Von Drachen und Hexen“ „Im dunklen Tann“, „Zwischen Drachenkopf und Höllental“ und zuletzt „Weiberleit und Lausdirndln“ zur Aufführung. 

Daneben leitet sie gemeinsam mit ihrem Mann das „Dorfwelten-Heimatmuseum“ in Uffing und entwickelt für verschiedene Kultureinrichtungen museums- 

pädagogische Formate mit Schauspiel und Events. Seit 2024 ist sie zertifizierte Museumspädagogin und Kulturvermittlerin. 


Mathias Kneissl  März 2024